banner03
honestjohn2

Das SAS (Special Ammunition Site)

Die Bundesrepublik Deutschland ist mit den Pariser Verträgen 1954/55 die völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen, auf die Herstellung von Atomwaffen auf deutschem Boden zu verzichten, und damit faktisch keine Atommacht zu werden. Da aber die Regierung Adenauer die Bundesrepublik unbedingt zur Atommacht machen wollte, der Versuch einer deutsch-französisch-italienischen Zusammenarbeit zur Entwicklung und zum Bau einer eigenen Atombombe auf französischem Boden (“Europäisches Institut für Flugkörper”) jedoch gescheitert war, mußte sich Adenauer mit der sogenannten “Nuklearen Teilhabe” begnügen. Im Rahmen der NATO-Verteidigungsstrategie war auch der Einsatz von Atomwaffen durch die Bundeswehr vorgesehen. Die Atomsprengköpfe wurden in Deutschland gelagert und von der Bundeswehr selbst bewacht. Die Bundeswehr verfügte über die entsprechenden Atomwaffenträgersysteme. Die Amerikaner behielten die Schlüssel- und Verfügungsgewalt über die Atomsprengköpfe. Zu diesem Zweck waren spezielle US-Einheiten in Deutschland stationiert, welche im Kriegsfall die Freigabecodes bekommen hätten. Die Bundeswehr wäre unter ein NATO-Kommando gestellt worden, das dann den Einsatz der Atomwaffen durch die Bundeswehr verfügt hätte. Legitimiert war dies durch einen Bundestagsbeschluß vom 25.3.1958. Die Legalität dieses Verfahrens war vor allem deshalb umstritten, weil die Weitergabe von Atomsprengköpfen an die Bundeswehr durch die Amerikaner eine Umgehung (wenn nicht gar ein Bruch) des Weiterverbreitungsverbots von Atomwaffen des Atomwaffensperrvertrages von 1968 darstellte. Sowohl die USA als auch die BRD hatten diesen Vertrag unterzeichnet.

Eines der Atomwaffenlager (SAS) der Bundeswehr befand sich seit 1963 im östlichen Teil des Sperrgebietes der ehemaligen “Eibia GmbH Anlage Karl” in der Eickhofer Heide bei Liebenau. Es war zunächst das Sonderwaffenlager des in Nienburg-Langendamm stationierten RakArtBtl 12 des 1.Artillerieregimentes der 1.Panzergrenadierdivision. Das Bataillon führte außer den (rein konventionellen) Mehrfach-Raketenwerfern “LARS 110 SF” die nukleare Artillerie-Rakete “Honest John”. Die Honest-John-Atomsprengköpfe für das RakArtBtl 12 wurden im SAS Liebenau gelagert.

Das SAS (Special Ammunition Site) Liebenau war etwas größer als ein Fußballfeld. In der Mitte befanden sich zwei große, erdummantelte Betonbunker, in denen die Atomsprengköpfe eingelagert waren. Die Sicherung bestand aus einem hohen Doppelzaun, hell erleuchtetem, geharktem Feld mit freier Sicht und zunächst je einem hölzernen Wachturm an den vier Ecken der Anlage. Ein kleines Gebäude diente der Freiwache als Unterkunft und als Sozialgebäude. Bei Alarm rückte zur Verstärkung ein Bereitschaftszug aus der Unterkunft bei Mainsche an. Die Bewachung erfolgte bis in die 80er Jahre durch die 5./12 (1980 in 4./12 umbenannt), ab 1985 durch die dem 1. Artillerieregiment direkt unterstellte “Begleitbatterie I”. Zusätzlich ging nachts ein ziviler Hundeführer im Umfeld der Anlage Streife. Für den inneren Bereich des Atomwaffenlagers mit den Bunkern waren die Amerikaner zuständig. Ein paar US-Soldaten hielten sich ständig in einem Wachhäuschen am inneren Bereich der Anlage auf. Die Amerikaner gehörten dem in Nienburg-Langendamm stationierten “32nd US-Army Field Artillerie Detachement” (32nd USAFAD) an. Ihr einziger Auftrag war die Verwaltung und die Schlüsselgewalt über die Atomwaffen in Liebenau.

Dem Atomwaffenlager Liebenau übergeordnet war das zentrale Atomwaffenlager Lahn (bei Sögel) für das I. Korps der Bundeswehr. Dort war die 552nd USArmy Artillerie Group stationiert, der die 32nd USAFAD in Nienburg-Langendamm unterstand. Die für Sögel zuständige Bundeswehreinheit war das Transportbataillon 81 (später Nachschubbataillon 120).

In Liebenau bzw. Mainsche befand sich im wöchentlichen Wechsel ein Zug der 5./12 in Alarmbereitschaft. Ein Teil des Bereitschaftszuges hatte am SAS Wachdienst, die anderen Soldaten befanden sich in der Unterkunft in Mainsche. Die Wachablösungen am SAS, sowie die Alarmfahrten des Bereitschaftszuges, führten außen herum über die Kreisstraße 29 von Mainsche nach Liebenau, und dort durch ein Tor wieder in das Eibia-Gelände hinein (Foto unten). Nur etwa 1 km hinter dem Tor befand sich das SAS. Die Begleitbatterie der Bundeswehr stellte außerdem eine Fahrbereitschaft für die Amerikaner. Im Kriegsfall wäre die 5./12 auch für den Lkw-Transport der Atomsprengköpfe zuständig gewesen. Mit sogenannten Auslagerungsübungen wurde das hin und wieder geübt. In Friedenszeiten führten jedoch nur die Amerikaner Atomwaffentransporte durch, soweit heute bekannt ist, fast ausschließlich per Hubschrauber vom Typ CH-47 Chinook. Für das Sonderwaffenlager Liebenau wären dies vermutlich Transporte vom und zum übergeordneten Sonderwaffenlager Lahn (bei Sögel) im Emsland gewesen.

 

liebenau21

In Stellung gebrachte Honest-John-Rakete des RakArtBtl 12 der Bundeswehr. Sie war von Anfang an primär als taktische Atomwaffe konzipiert. Ihre Reichweite betrug 48 km, ihre Sprengkraft je nach eingesetztem Gefechtskopf zwischen 1 und 40 kT (Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von rund 15 kT). Die Bundeswehr verfügte bis 1979 über 11 Batterien mit jeweils 4 Raketenwerfern dieses Typs. Das Foto aus den frühen 70er Jahren stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung.

liebenau22

Durch dieses Tor zum Eibia-Gelände in Liebenau ging es zum SAS, das sich etwa 1 km hinter dem Tor befand. Das Wachhäuschen ist bereits abgerissen (Foto aus den 90er Jahren)

liebenau23

Das SAS während seiner aktiven Zeit. Zu sehen ist die Einfahrt in den inneren Bereich. Dahinter sieht man die beiden Atomwaffenbunker. Das Foto entstand um 1980 und wurde von einem Zeitzeugen zur Verfügung gestellt.

liebenau24

Überblick über das SW-Lager Liebenau vom zentralen Beton-Wachturm (Hauptbeobachtungsturm) aus: Deutlich sichtbar sind die beiden erdummantelten Atomwaffen-Bunker und der Doppelzaun. Vorne links unten befindet sich ein Maschinengewehr-Stand. Ganz im Hintergrund hinter dem Wald sieht man den Schornstein des Chemiewerkes der Degussa-Hüls-AG (heute Oxxynova) bei Steyerberg. Das Foto stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung.

liebenau25

Das Gebäude in der Bildmitte könnte das Munitionswartungshaus sein. Links unten sieht man das Dach des Wachgebäudes aus Beton, dahinter ein kleiner Schuppen, in dem sich Feuerlöschmittel befanden. Deutlich erkennbar sind auch die Laufgräben zu den MG-Ständen. Das Foto stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung.

liebenau26

Dieses Foto, das ein Zeitzeuge zur Verfügung stellte, zeigt den Eingangsbereich des SAS vom Haupt-Beobachtungsturm aus gesehen. In der Bildmitte befindet sich das Unterkunft- und Sozialgebäude, das schon seit den 60er Jahren unverändert stand. Links sieht man die Einfahrt. Es folgt auf der Zufahrt ein niedriger Zaun, der das Eindringen von Tieren in den mit Bewegungsmeldern überwachten Bereich zwischen äußerem und innerem Zaun verhindern sollte. Daran schließt sich ein Schlagbaum an, und rechts daneben sieht man das Tor zum inneren (amerikanischen) Bereich.

liebenau27

Dieses Bild wurde von einem der MG-Stände aus aufgenommen. In der Bildmitte ist hinten einer der alten hölzernen Wachtürme zu erkennen. Das Foto stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung.

liebenau28

Das einzige, mir vorliegende Foto vom Hauptbeobachtungsturm. Im Vordergrund sieht man die Rückseite der beiden Atomwaffen-Bunker. Das Foto stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung.

liebenau29

Diese Aufnahme, die ebenfalls ein Zeitzeuge zur Verfügung stellte, zeigt den unüberwindlichen Doppelzaun des SAS.

Bis in die 80er Jahre wurden im SAS Liebenau auch Atomminen für die in Minden ansässige “SpezSperrKP 100” der Bundeswehr gelagert. Nach der Ausmusterung der Honest John im Jahre 1979 diente das SAS weiterhin zur Lagerung von atomaren Rohrartillerie-Granaten für die Artillerie-Spezialzüge in Neustadt-Luttmersen und Hannover-Bothfeld. Liebenau war in jener Zeit das Sonderwaffenlager der 1.Panzerdivision. Die Bewachung des SAS wurde 1980 von der 4/12 und ab 1985 von der dem 1.Artillerieregiment direkt unterstellten “Begleitbatterie 1” übernommen. Nach dem Abzug aller Atomwaffen des Heeres durch die Amerikaner im Jahre 1992 wurde das SW-Lager Liebenau bis auf die Erdhügel der beiden Bunker vollständig geschleift. Heute ist dort nichts mehr zu sehen.

 

Website_Design_NetObjects_Fusion