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Lager Mainsche und SAS Liebenau

Das Lager Mainsche im Nordwestteil des Eibia-Geländes wurde 1958 als Verwaltung und Truppenunterkunft für das im selben Jahr an gleicher Stelle gegründete Munitionsdepot Liebenau (MunDp LIE) eingerichtet. Von 1956-58 war es ein Gerätedepot gewesen. Obwohl am Rand des kleinen Dorfes Mainsche (Gemeinde Pennigsehl) gelegen, war die Postanschrift und Ortsbezeichnung immer Liebenau, das 5 km entfernt an der Ostseite des Eibia-Geländes liegt. Das Lager Mainsche bestand ursprünglich ausschließlich aus Holzbaracken, in denen zunächst die depoteigene Kompanie “NschDpKp 811” untergebracht war. Mit dem Bau des Atomwaffenlagers (SAS) im Jahre 1963 im Osten des Eibia-Geländes bei Liebenau für das RakArtBtl 12 zog in Mainsche dessen Begleitbatterie 5./12 zwecks Bewachung des SAS ein, trotz der relativ großen Entfernung zum SAS über öffentliche Straßen von ca. 6 km, die bei Alarm wertvolle Zeit kosten konnte. Die Holzbaracken waren bald in marodem Zustand und galten für viele Soldaten als unzumutbar. Mitte der 70er Jahre wurden sie durch neue, feste Kasernengebäude auf modernstem Standard ersetzt. Nach der Aufgabe des SAS (1992) und des Mun-Depot Liebenau (1995) standen die Kasernenbauten leer und wurden Anfang der 2000er Jahre bis auf das Wachgebäude und eine Fahrzeughalle dem Erdboden gleichgemacht.

   

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Tor des Lager Mainsche mit Wachgebäude (März 2005).

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Mannschaftskantine in Mainsche Anfang der 70er Jahre, noch eine Holzbaracke. Das Foto stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung.

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Ein weiteres Foto aus der Mannschaftskantine vom Anfang der 70er Jahre. Das Foto stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung.

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Angetretene Soldaten vor einem der modernen Kasernenbauten (vermutlich Anfang der 90er Jahre). Das Foto stellte ein Zeitzeuge zur Verfügung..

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Dieses von einem Zeitzeugen zur Verfügung gestellte Foto zeigt das Lager Mainsche mit bereitgestellten Fahrzeugen.

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Die letzte erhaltene Fahrzeughalle des Lager Mainsche (Foto von 2008).

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Dieser alte, innere Zaun trennte den Bereich des Mun-Depot Liebenau (bei Mainsche) mit dem Lager Mainsche vom übrigen Eibia-Gelände auf dem sich auch das SAS befand.

Im SAS Liebenau, für das die Begleitbatterie in Mainsche zuständig war, wurde außer den nuklearen Honest-John-Sprengköpfen auch nukleare Rohrartillerie-Munition gelagert. Ob dieses von Anfang an oder erst ab Ende der 70er Jahre der Fall war, ist mir nicht bekannt. Bis in die 80er Jahre lagerten im SAS Liebenau auch Atomminen für die in Minden ansässige “SpezSperrKP 100” der Bundeswehr. Die für die Minen zuständige US-Einheit war die “4th Plt/567th Engr Co (ADM)” in Nienburg-Langendamm. Die Honest-John-Rakete wurde 1979 ausgemustert. Ende der 70er Jahre wurden die Sicherungsanlagen am Sonderwaffenlager deutlich ausgebaut und verschärft. Ein Zeitzeuge berichtete mir im Dezember 2006, daß Anfang der 80er Jahre dort ein zentraler Wachturm aus Beton (“Hauptbeobachtungsturm”) mit Panzerglas und Schießscharten stand. Er war tagsüber mit zwei, und nachts mit drei Personen besetzt. Hinzu kam diagonal dazu ein Wachturm aus Metall, der mit einer bzw. zwei Personen besetzt war. Nachts oder bei Nebel wurden zusätzlich noch zwei der alten hölzernen Wachtürme genutzt. Ãœber die Regelungen der Wache des SAS Anfang der 90er Jahre, schrieb im Jahre 2008 ein Zeitzeuge: >>Die permanente Bewachung des Lagers setzte sich zusammen aus den drei Amerikanern und einer 22-köpfigen deutschen Wachmannschaft. Je ein Uffz und fünf Mannschaften bildeten eine Gruppe, die im zwei Stunden Wach/4 Stunden Bereitschaftrythmus die Türme besetzten. Gruppenführer und zwei Mann auf dem HBT (Hauptbeobachtungsturm), zwei Mann auf dem NBT (Nebenbeobachtungsturm und ein Mann als Schließer (zuständig für das Eingangsdrehkreuz und die Eintragung der ein- und ausgehenden Personen, z.B. die Amis). Im Wachgebäude waren ausser den beiden Freischichten noch der Wachhabende, ein Mannschaftsdienstgrad als so ne Art Melder, zuständig für Feldtelefon und den Kaffee, und zwei Mann als AAT-Bereitschaft. Die letzten drei wurden alle 12 h, der Rest alle 24 h ausgetauscht.<< [Originalzitat]

Mitte der 80er Jahre wurde die Begleitbatterie in Mainsche (die 4./12, vormals 5./12) aus dem RakArtBtl 12 ausgegliedert, verselbstständigt und als “Begleitbatterie 1” dem ersten Artillerieregiment direkt unterstellt. Ein anderer Zeitzeuge berichtete im Herbst 2006, daß in den 1980er Jahren in Liebenau atomare Rohrartillerie-Munition vom Kaliber 155 und 203 mm lagerte. Diese Munition war für die Spezialzüge des 1. Artillerie-Regimentes, den “ArtSpezZg I/I” (Neustadt-Luttmersen) und den “ArtSpezZg II/I” (Hannover Bothfeld) der 1. Panzerdivision vorgesehen. Das Personal dieser Züge hatte eine spezielle Ausbildung im Verschießen von Atom-Granaten und sollte im Kriegsfall die entsprechende Artillerie von den regulären Artillerie-Feuereinheiten übernehmen. Der Zeitzeuge berichtet, daß am SAS Liebenau jährlich 4 bis 5 Ãœbungen des ArtSpezZg II/I abgehalten wurden, bei denen die Ãœbernahme und Auslagerung der atomaren Munition geübt wurde. Die Ãœbungen fanden zumeist mit Ãœbungsmunition (Attrappen) statt, es gab aber auch - gemeinsam mit den Amerikanern - sogenannte “scharfe” Ãœbungen, bei denen die atomare Munition tatsächlich aus den Bunkern des SAS geholt und auf dem Eibia-Gelände herumgefahren worden sein soll. Der Zeitzeuge berichtet weiter, daß sich die atomaren Komponenten der Munition in etwa maurerkübelgroßen zylindrischen Stahlbehältern mit Tragegriffen und gelber Beschriftung befanden. In dem Einen der beiden Bunker (vermutlich dem, der für den ArtSpezZg II/I vorgesehen war), sollen sich neben schätzungsweise 30 Artilleriegranaten etwa 10 solcher nuklearer Komponenten befunden haben. Die Behälter seien mehr als handwarm gewesen. Bei diesen Ãœbungen hätten die amerikanischen Soldaten auf dem Lkw die nuklearen Sprengköpfe aus den Behältern in die Granaten eingebaut, wobei kein deutscher Soldat zugegen sein durfte, während die Deutschen (die des Artillerie-Spezialzuges) für den Einbau der Zünder zuständig waren. Die Zünder wurden bei den Ãœbungen selbstverständlich nicht eingebaut. Nach der standardmäßigen Planung war vorgesehen, daß die Bundeswehreinheit im Spannungs- bzw. Kriegsfall die Atomgranaten mit fertig montierten Sprengköpfen von den Amerikanern übernehmen sollte. Das eilige Montieren durch die Amerikaner auf dem Bundeswehr-Lkw soll nur für den Fall eines Alarmes bei einem Ãœberraschungsangriff aus dem Osten vorgesehen gewesen sein, so der Bericht des Zeitzeugen. An welcher Stelle dieser Ausführungskette, wie und durch wen nukleare Freigabecodes zur Ãœbermittlung und Anwendung gekommen wären, ist mir nicht bekannt.

Anfang der 90er Jahre ging nach den Abrüstungsvereinbarungen zwischen der Sowjetunion und den USA, der “Wende” und schließlich der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes der Kalte Krieg zu Ende. Die Amerikaner zogen 1992 sämtliche Atomwaffen des Heeres aus Deutschland ab. Das SAS in Liebenau wurde leergezogen und endgültig aufgegeben, ebenso das übergeordnete Atomwaffenlager Lahn. Mit dem Ende des Kalten Krieges war das Szenario einer möglichen Materialschlacht des Heeres mit nuklearen Artillerie- und sonstigen taktischen atomaren Gefechtsfeldwaffen in Mitteleuropa vom Tisch. Damit war auch die Zeit der über die Republik verteilten und versteckten “Sonderwaffenlager” vorbei. Diese Anlagen sind heute - soweit überhaupt noch leerstehende Bauten oder andere Reste erhalten sind - Relikte einer vergangenen Epoche.

 

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