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Geschichte vor 1945

1938 kaufte die staatseigene Treuhandfirma “Verwertungsgesellschaft fĂŒr Montanindustrie” (kurz: Montan GmbH) von der Adelsfamilie von Eickhof-Reitzenstein die Eickhofer Heide  zwecks Bau einer Pulverfabrik. Die Geschichte des Sperrgebietes in der Eickhofer Heide bei Liebenau begann 1939 mit dem Bau der “Anlage Karl” als eine von fĂŒnf Pulverfabriken der Eibia. Die Eibia GmbH war 1938 als eine 100%ige Tochtergesellschaft des Pulver-Herstellers Wolff & Co, Bomlitz/Walsrode, gegrĂŒndet worden. Grund und Boden der Eickhofer Heide blieben in von der Montan GmbH verwaltetem Staatsbesitz. Bauherr der Fabrik war die Firma Wolff & Co. Sie ĂŒbergab die Fabrik nach ihrer Fertigstellung der Montan GmbH, und diese verpachtete sie an die Eibia. Die “Eibia GmbH Anlage Karl” wurde die grĂ¶ĂŸte Munitionsfabrik in Deutschland in der Zeit des Dritten Reiches. Sie produzierte in Liebenau zwischen 1941 und 1945 insgesamt rund 41.000 Tonnen Explosivstoff  fĂŒr das OKH (Oberkommando des Heeres).

Zum Bau der riesigen Anlage wurden der Reichsarbeitsdienst, sowie 70 Firmen mit insgesamt mehreren tausend ArbeitskrĂ€ften eingesetzt. Nach Kriegsbeginn kamen fĂŒr die Bauarbeiten zahlreiche Zwangsarbeiter aus verschiedenen europĂ€ischen LĂ€ndern hinzu.

1940 richtete die Gestapo Hannover am Ortsrand von Liebenau ein “Arbeitserziehungslager” fĂŒr etwa 250 bis 500 HĂ€ftlinge ein. Die offizielle Bezeichnung war nicht “Konzentrationslager”, weil das Lager nicht der SS, sondern der Gestapo unterstand, es der Disziplinierung dienen sollte, und die Haftzeit auf maximal 56 Tage begrenzt war. Hinsichtlich der Haftbedingungen war es faktisch ein Konzentrationslager. Inhaftiert wurden Zwangs- und Fremdarbeiter, die gegen die Arbeitsordnung verstoßen oder vermeintlich zu wenig geleistet hatten, sowie Deutsche, die als “Querulanten”, wegen “Rassenschande” oder dem “Abhören von Feindsendern” denunziert worden waren. Die HĂ€ftlinge wurden beim Bau der Eibia und auch in der Produktion eingesetzt. Sie wurden mit Ă€ußerster BrutalitĂ€t behandelt. Viele ĂŒberlebten die Haftbedingungen nicht. Nach Zeugenaussagen starben wöchentlich etwa 10 Menschen an EntkrĂ€ftung. Etwa 35 bis 40 Menschen fielen laut Zeugenaussagen den Hinrichtungen am Galgen durch die Gestapo zum Opfer. Den Hinrichtungen mußten die MithĂ€ftlinge zur  EinschĂŒchterung zuschauen. Einige HĂ€ftlinge wurden auf den Baustellen vom Eibia-Wachpersonal durch Kopf- oder HerzschĂŒsse getötet. Zuletzt soll das Lager mit 700 HĂ€ftlingen belegt gewesen sein. 1943 wurde es in die NĂ€he von Minden zum Bau eines Kraftwerkes verlegt.

Im Juli 1941 nahm die “Eibia GmbH Anlage Karl” zunĂ€chst mit rund 2800 ArbeitskrĂ€ften (ĂŒberwiegend Zwangsarbeitern) ihre Produktion auf. Unweit der Haupteinfahrten in das GelĂ€nde in Liebenau und Steyerberg entstanden umfangreiche Lager aus festen SteinhĂ€usern zur Unterbringung von Zwangsarbeitern und Dienstverpflichteten. Außer den SteinhĂ€usern wurden große Holzbarackenlager zur Unterbringung von “Ostarbeitern” und Kriegsgefangenen aufgebaut. Die GebĂ€ude der beiden Lager “Stein I” (Liebenau) fĂŒr 1000 Personen und “Stein II” (Steyerberg) fĂŒr 700 Personen sind weitgehend noch heute erhalten, wĂ€hrend die Holzbarackenlager “Liebenau I” (im Liebenauer “Kleinen Feld”) fĂŒr 2000 Personen, “Liebenau II” (Steyerberg) ebenfalls fĂŒr 2000 Personen, das “Reeser Lager” (bei Steyerberg im Bereich des heutigen Chemiewerkes) sowie das “Arbeitserziehungslager” (Liebenau) nach Kriegsende verschwanden.

 

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Das ehemalige Zwangsarbeiterlager “Stein I” in Liebenau ist hinsichtlich des Baustils einem großen Gutshof nachempfunden. Der Stil kann dem sogenannten “Heimatschutzstil” zugeordnet werden. Offenbar wollten die Architekten optisch eine Dorf-Idylle vortĂ€uschen. Nach dem Krieg war das Lager bis 1978 als “Pinewood-Campbritische Kaserne. (Fotos aus den 90er Jahren)

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Das “Lager Stein I” in Liebenau (heute “Waldsiedlung”) wurde 1939 zur Unterbringung von 1000 Personen erbaut. Es bestand aus 25 SteinhĂ€usern. Hier wurden ĂŒberwiegend deutsche ArbeitskrĂ€fte und Dienstverpflichtete, sowie Fremd- und Zwangsarbeiter aus Westeuropa untergebracht. Die QualitĂ€t der Unterbringung im System der NS-Zwangsarbeit war nach Herkunft der Arbeiter streng abgestuft. So hatten Zwangsarbeiter aus Westeuropa gegenĂŒber Zwangsarbeitern aus Osteuropa eine relativ privilegierte Stellung, was auch an den Lagern deutlich ablesbar war. Die osteuropĂ€ischen Zwangsarbeiter wurden in Holzbarackenlagern untergebracht, hatten deutlich niedrigere VerpflegungssĂ€tze und wurden stets von bewaffneten KrĂ€ften bewacht und zur Arbeit geleitet. Die schlechteste Behandlung und Verpflegung erfuhren die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. Über 2000 osteuropĂ€ische Zwangsarbeiter kamen in Liebenau durch UnterernĂ€hrung, WillkĂŒr, EntkrĂ€ftung und Krankheiten ums Leben. Bei allen Zwangsarbeitern, sowohl denen aus Ost-, als auch denen aus Westeuropa, wurde die Disziplin mit hĂ€rtester Repression durchgesetzt. Bei dem geringsten Anlaß, und sei es nur “Meckern” ĂŒber die Bedingungen oder “Bummelei”, drohte die Einweisung in das “Arbeitserziehungslager”.

 

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GebĂ€ude des Lager Stein II” (nach dem Krieg brit. Helena-Camp) an der Zufahrt zum Sperrgebiet am SĂŒdrand des Eibia-GelĂ€ndes bei Steyerberg (um 2008)

Am 10.April 1945 besetzten britische Truppen das GelĂ€nde und befreiten die Lager. Die umfangreichen Anlagen der Pulverfabrik fielen den Briten völlig unversehrt in die HĂ€nde. Auf dem Sperrgebiet richteten sie zunĂ€chst eine Sammelstelle fĂŒr Beutemunition ein. Das Lager “Stein I” in Liebenau wurde britische Kaserne und erhielt den Namen “Pinewood Camp”. Im Lager “Stein II” in Steyerberg brachte die britische Armee zunĂ€chst ehemalige Kriegsgefangene der Wehrmacht und befreite ehemalige Zwangsarbeiter unter. Danach wurde das Lager unter dem Namen “Helena-Camp” ebenfalls Kaserne der britischen Armee.

An die Opfer der Zwangsarbeit zwischen 1939 und 1945 erinnert heute eine kleine GedenkstĂ€tte mit dem etwas irrefĂŒhrenden Namen “KriegsgrĂ€beranlage Deblinghausen” an der Westseite des Areals bei Hesterberg direkt am Zaun des Sperrgebietes. Die GedenkstĂ€tte liegt ziemlich versteckt, ist nur ĂŒber einen langen unbefestigten Waldweg erreichbar und fĂŒr Ortsunkundige nur schwer zu finden.  In der Mitte der Anlage befindet sich ein Obelisk, der speziell an die umgekommenen russischen Zwangsarbeiter erinnert. Die Inschrift lautet: “Hier liegen ĂŒber zweitausend russische Staatsangehörige begraben, die durch das Sklavensystem der deutschen Faschisten umgebracht wurden.”

 

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